Herrenschmuck bleibt ein schwieriges Thema

2021-12-29 06:27:47 By : Ms. wei qin hu

Der Begriff «Herrenschmuck» sagt im Grunde schon alles, denn «Schmuck für den Herrn», das klingt altbacken, nach Krawattennadel und Manschettenknöpfen aus Perlmutt oder Onyx. Überhaupt scheint der Schritt vom Herrn zum gänzlich und völlig zu Recht verschwundenen «Fräulein» nicht mehr weit. «Männerschmuck» klingt zwar männlicher, aber Männlichkeit und Schmuck scheinen sich irgendwie zu beissen.

Das Jahrzehnt, das zuerst das starke Geschlecht schmücken durfte, waren die Swinging Sixties: Scott McKenzies «San Francisco», Woodstock, Jim Morrison von den Doors und Jimi Hendrix waren geschmacksprägend für Männer, die schon lange Haare trugen oder sich die Hippie-Mähne noch wachsen liessen.

Und bald einmal brachten die ersten Globetrotter Schmuck aus fernen Ländern nach Hause, vor allem aus dem Hippie-Paradies Goa, aber auch aus dem übrigen Indien und aus Afghanistan, später kamen Nordafrika und Indonesiens bekannteste Insel Bali hinzu.

Das gilt für Silberschmuck, denn dieser sieht oftmals unisex aus, kann also Männer wie Frauen schmücken. Tonnenweise wurde in Form gehämmertes, gebogenes, geschmiedetes Silber an den Mann gebracht, allerdings nicht von traditionellen Schmuckgeschäften, sondern von fliegenden Händlerinnen und Händlern: auf Strassen- und Flohmärkten sowie an Konzerten. Dort gilt der Grundsatz «Kleinvieh macht auch Mist»; niemand handelt an diesen Orten mit Edelsteinen.

Routinierte Flohmarktbesucher halten nach 925 Sterling Silver Ausschau, nur Narren nach 18 Karat Gold. Und da Silber und Diamanten, Saphire, Smaragde und Rubine nicht fein genug füreinander sind, geben Ringe und Armbänder sich zufrieden mit Achaten, Türkisen, Karneolen, oder sie verzichten gleich ganz auf Schmucksteine (die früher «Halbedelsteine» genannt wurden).

Wenn Männer sich für einen oder mehrere Schmucksteine entscheiden, ist es meistens kein Steinchen, sondern etwas Grösseres. «Klein, aber fein» richtet sich nicht an Männer, klein und fein ist feminin: ein zartes Kettchen für Chantal, ein süsser Ohrring für Laura.

Männer schrecken zurück vor Filigranem, sie haben die Befürchtung, «schwul» auszusehen. In den 1970ern, als die üppig behaarte Männerbrust eines Sean Connery dem Schönheitsideal entsprach, kauften Proll-Machos Anhänger mit (falschen und echten) Tigerzähnen. Ums Handgelenk schmiegte sich ein schweres ID-Bracelet, mit oder ohne Namensgravur. Das ID-Bracelet ist eines der wenigen Schmuckstücke, die sich erfolgreich zurückmeldeten.

Zu den schönsten Ausführungen in Sterling Silver gehör(t)en etwa die Bracelets des 1990 gegründeten Londoner Schmuck-Brands Tateossian. Mit dem Tattoo-Boom einher ging der Ausnahmeerfolg eines speziellen Segments, das sich nicht nur bei echten Kerlen – man könnte auch sagen: den neuen Machos – grosser Beliebtheit erfreut: der Bikerschmuck. Dabei stechen vor allem zwei Labels mit hochwertigem Silberschmuck hervor, beide aus Los Angeles: Chrome Hearts, gegründet 1988 von Richard Stark, Leonard Kamhout und John Baumann, sowie King Baby Studio, gegründet im Jahr 2000 von Mitchell Binder.

Als Erfolgstreiber für Chrome Hearts erwies sich die Obsession eines gewissen Karl Lagerfeld für die «Herzen aus Chrom». Kaiser Karl hängte sich deren Ketten um, an den Fingern buhlten gleich mehrere klobige Ringe aufs Mal um Aufmerksamkeit. Chrome Hearts war übrigens der Arbeitstitel für einen Film, der längst vergessen ist: «Chopper Chicks in Zombietown» (1989).

Der zweite Erfolgstreiber für Bikerschmuck war noch einflussreicher als der persönliche Geschmack des Chefdesigners von Chanel, Paris: Die TV-Serie «Sons of Anarchy» (2008–2014) machte Werbung nahezu überflüssig, denn der testosteronstarke Auftritt der Mitglieder einer Motorrad-Gang, eben der «Sons of Anarchy», liess die Verkaufszahlen von Panzerketten und Ringen mit Totenköpfen emporschiessen. In Europa hielt sich die Begeisterung jedoch in überschaubaren Grenzen. Hierzulande fürchtete man die Hells Angels, und an Anarchie glauben nur noch ein paar unbelehrbare Punks.

Für die namhaften Schmuckproduzenten ist Gold von jeher interessanter als Silber. Gold und Männer, da war doch etwas, was war es gleich? Denken Sie sich noch Diamanten und Brillanten dazu, dann wissen Sie’s. Genau: Bling-Bling und Hip-Hop! Run-D.M.C., LL Cool J und Co. traten den Bling-Bling-Trend los, und alle Rapper und Pseudo-Rapper und -Rapperinnen taten es ihnen gleich. Bis man dauerhaft geblendet und gelangweilt war von dieser Protzerei.

Ob es schlichter, vielleicht sogar minimalistischer Schmuck für den Mann eines Tages doch noch durchsetzt? Wir werden sehen. Youngsters der Generation Z lackieren sich schon mal die Fingernägel. Da ist der Schritt zum schmückenden Beiwerk nicht mehr weit. Sie wissen schon, Timothée Chalamet, Harry Styles . . .

Die besten Artikel aus «NZZ Bellevue», einmal pro Woche von der Redaktion für Sie zusammengestellt: Jetzt kostenlos abonnieren.

Copyright © Neue Zürcher Zeitung AG. Alle Rechte vorbehalten. Eine Weiterverarbeitung, Wiederveröffentlichung oder dauerhafte Speicherung zu gewerblichen oder anderen Zwecken ohne vorherige ausdrückliche Erlaubnis von Neue Zürcher Zeitung ist nicht gestattet.