Migräne Piercing: Wirkt das Daith Piercing gegen den Schmerz?

2022-07-29 20:30:55 By : Ms. Vivien Jiang

Hilft ein Piercing wirklich gegen Kopfschmerzen? Und vor allem, wie hilft ein Piercing gegen Migräne? Wir haben uns das sogenannte Migräne-Piercing oder Daith-Piercing genauer angeschaut. Alle Infos und wissenschaftliche Erkenntnisse findet Ihr hier...

Migräne ist viel mehr als einfach nur Kopfschmerzen. Je nach Ausprägung kommen weitere Symptome wie Übelkeit bis hin zum Übergeben, extreme Licht-, Lärm- und Geruchsempfindlichkeit, sowie Seh- und Sprachstörungen hinzu. Die Kopfschmerzen und Beschwerden scheinen oft aus dem Nichts zu kommen oder werden im Alltag durch äußere Reize getriggert.

Der aktuelle Forschungsstand zur Krankheit ist noch recht dünn, so kann man die Ursachen und Abläufe im Körper bei Migräneattacken noch nicht konkret bestimmen. Die Komplexität der Krankheit und die teilweise unberechenbaren Wellen an Kopfschmerzen treiben viele Betroffene dazu, nach alternativen Behandlungsmethoden zu suchen, welche die Symptome nicht nur lindern, sondern vor allem vorbeugen sollen.

Eine solche Methode ist das Migräne-Piercing. Online und in Migräne-Kreisen tauchen immer mehr Erfahrungsberichte auf, die beschrieben, wie ein Piercing im Ohr bei Migränebeschwerden helfen soll. Was steckt dahinter?

Ein Ohrpiercing gegen Migräne, das an der richtigen Stelle am Ohr platziert wird, soll Migräneattacken in ihrer Häufigkeit reduzieren. Die Theorie, die dahinter steckt, stützt sich auf die traditionelle Akupunktur. Die arbeitet ebenfalls mit Nadeln, um Reize zu setzen und schließlich Energien im Körper zu beeinflussen und zu lenken. Die fernöstliche Therapieform der Akupunktur besagt, dass Energielinien im Körper verlaufen. Sticht man mit Akupunkturnadeln in genau diese Linien, kann man diese Energien beeinflussen. Nun soll das Piercing ganz ähnlich funktionieren. Quasi wie eine permanent platzierte Akupunkturnadel. 

Der Akupunkturpunkt gegen Migräne soll auf der kleinen knorpeligen Falte in der Ohrmuschel direkt über dem Gehörgang liegen. Die Knorpelfalte nennt sich auch Crus Helix. An dieser Stelle des Ohrknorpels kreuzt der Vagusnerv, weshalb der Spot als Akupunktur-Druckpunkt gegen Migräne genutzt wird. Hier wird also auch der Ohrstecker gegen Migräne platziert, der die Migräneattacken lindern soll. In besonders extremen Fällen können auch zwei Piercings, also an jedem Ohr eins gestochen werden.

Das Migräne-Piercing wird häufig auch Daith-Piercing genannt. Die Bezeichnung "Daith" leitet sich vom hebräischen Wort "da-at", das übersetzt Wissen bedeutet. 

Das sogenannte Daith-Piercing ist lediglich eine alternative Bezeichnung für das eben beschriebene Migräne-Piercing. Es ist ein Ohrstecker, also ein Schmuckstück, das auf der Crus Helix Knorpelfalte platziert wird und gegen Migräne helfen soll.

Kann ein Piercing überhaupt gegen Migräne helfen? Und wenn ja, wie kann ein Piercing bei Migräne helfen?

Wie bereits erwähnt, steckt Akupunktur als Theorie hinter der Piercing-Behandlung. Akupunktur soll Meridiane, die Energiekanäle oder das Qi, welche durch den Körper verlaufen, beeinflussen. Nach der jahrtausendealten Lehre soll der Stech-Reiz mit der Nadel Schmerzen lindern und Krankheiten heilen, indem man so Energieflüsse korrigiert.

Die Stichstelle am Ohrknorpel wird in der Akupunktur schon seit Jahrtausenden eingesetzt, um Migräne zu behandeln. Dafür muss aber die richtige Stelle zielsicher getroffen werden. Nun soll der permanent platzierte Ohrstecker andauernden Druck auf die Stelle ausüben und so gegen Migräne helfen.

Außerdem soll das Piercing auf den Vagusnerv wirken. Durch die Stimulation des Vagusnervs soll das Empfinden und zudem die Weiterleitung von Schmerzsignalen im Körper und die Reizbarkeit der Hirnrinde beeinflusst werden.

Um die Theorie dahinter zu besprechen, ist es hilfreich zunächst zu verstehen, was im Körper passiert, wenn dieser unter Migräne leidet. 

Migräne ist eine chronische, neurologische Erkrankung, die sich durch heftige Kopfschmerzen äußert, meist begleitet von Übelkeit, Licht-, Lärm- und Geruchsempfindlichkeit. In vielen Fällen können weitere Symptome wie Augenflimmern, Fühl- oder Wortfindungsstörungen auftreten. Expert:innen bezeichnen diese Fälle als Migräne mit Aura. So unterschiedlich jede Migräneattacke sein kann, so verschieden sind auch die einzelnen Fälle der Betroffenen. Nun wird zwar intensiv an den Ursachen, sowie der Behandlung von Migräne geforscht, allerdings erst seit kurzem. So sind die komplexen Prozesse, die bei einer Migräneattacke im Körper und im Gehirn vor sich gehen, noch nicht vollständig erforscht. 

Allerdings sind sich Forscher schon ziemlich sicher, dass Migräne genetisch veranlagt ist. Vor allem, weil Migräne sich in einigen Familien durch mehrere Generationen zieht.

Was man bisher vermutet: eine genetische Veränderung für eine Stoffwechselstörung in Hirnzellen könnte verantwortlich sein. Hyperaktive Nervenzellen senden Impulse an Blutgefäße, die Blutgefäße weiten sich und setzen Prostaglandinen, Serotonin und andere entzündlichen Substanzen frei. Somit werden sowohl das Hirngewebe als auch die Hirnhäute aufgeschwemmt und entzünden sich. Wir empfinden dies als die Schmerzimpulse, die wir als Migräne bezeichnen. Die ausstrahlenden Impulse sorgen für den typischen Migränekopfschmerz.

Diese Reaktionen werden durch Trigger aktiviert und reagieren sowohl auf innere sowie äußere Reize sehr empfindlich. Die Auslöser von Migräne sind nicht immer leicht zu erkennen und einzuordnen, aber besonders wichtig, da Betroffene die Häufigkeit ihrer Attacken senken können. In den meisten Fällen führt die Kombination mehrerer Triggerfaktoren zur Migräneattacke.

Klassische Trigger und nachgewiesene Migräneauslöser sind:

Migräne-Patient:innen kämpfen häufig gegen unvorhersehbare Attacken, extreme Schmerzen und die damit einhergehenden Symptome wie Übelkeit und Erbrechen, Seh- und Sprechstörungen, ohne genau erklären zu können, wann und warum die Migräne einsetzt. Da Migräne, je nach Häufigkeit der Schübe und je nach Symptomen das Leben und den Alltag der Betroffenen schwer beeinträchtigen kann, sind diese größtenteils bereit, verschiedenste Methoden und Behandlungen auszuprobieren. In der Hoffnung, die Erkrankung in den Griff zu bekommen.

So ist auch das Daith-Piercing oder Migräne Piercing eine der Behandlungen oder Therapiemethoden, welche viele der Betroffene wählen, wenn andere Alternativen nicht die gewünschten Ergebnisse bringen. Erfahrungsberichte beschreiben, dass Betroffene nach dem Stechen weniger häufig Migräneattacken haben oder die Schmerzen und Nebenwirkungen weniger schwer ausfallen. Allerdings kann niemand behaupten, dass die Migräne nach dem Piercing ganz verschwindet. 

Aus medizinischer Sicht lässt sich das Daith-Piercing allerdings nicht als nachweislich wirkungsvolle Methode einstufen. Es gibt keine Studien, welche die Wirkung ausreichend belegen würden. Somit wird es nicht als medizinisches Heilmittel anerkannt, sondern ist lediglich eine Behandlungsmethode, die in Migräne-Kreisen wegen der positiven Erfahrungsberichte weitergetragen und empfohlen wird. 

Ärzte und Migräne-Expert:innen vermuten dahinter einen Placeboeffekt. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft riet Betroffenen in einem offiziellen Statement sogar dringend vom Migräne-Piercing ab. Die gesundheitlichen Risiken und möglichen Nebenwirkungen des Piercings sind zu groß, da an Piercings durch Knorpelgewebe wesentlich komplizierter sind, langsamer heilen und anfälliger für Infektionen sind als an Körperstellen mit weichem Gewebe.

Lest hier: Hilft Botox gegen Migräne?

Aktuell wird intensiv an der Wirkung des Daith-Piercings geforscht. Aber bisher gibt es noch keine Studie die groß genug und aussagekräftig genug wäre und den Effekt des Daith-Piercings belegen könnte. Die positiven Erfahrungsberichte werden meist einem Placebo-Effekt zugeschrieben. Experten vermuten hinter dem Piercing eher psychische als physische Gründe, die Migräneattacken schwächen und zur Schmerzlinderung beitragen.

Mediziner:innen und Forscher:innen erklären, dass ein Piercing sich deutlich von einer Akupunkturnadel unterscheidet. Anders als bei der Akupunkturbehandlung geht vom Piercing ein Dauerreiz aus, gegen den der Körper abstumpft. Selbst wenn die Wirkung also kurzfristig da wäre, würde sie mit der Zeit verschwinden. Um die Wirkung der Akupunktur zu imitieren, müsste man außerdem die richtige Stelle am Ohr zielsicher treffen. Das Piercing müsste also ein/e geschulte/r  Akupunktur-Therapeut:in stechen und kein/e Piercer:in.

Die Krankheitsmechanismen von Migräne sind noch zu wenig erforscht und lassen sich auch nicht mit einem Piercing in Verbindung bringen, als dass Expert:innen den Ohrstecker als Behandlungsmethode anerkennen würden. Mediziner:innen gehen sogar soweit, dass sie von dem Migräne-Schmuckstück am Ohr abraten.

Das vermeintliche Anti-Migräne-Piercing bringt zu viele Risiken und mögliche Nebenwirkungen mit sich:

Eine aktuelle Studie beschäftigt sich mit der tatsächlichen Wirkung des Migräne-Piercings.

In der Studie wird untersucht, ob überhaupt und wie Ohrpiercings die Häufigkeit, Dauer und Stärke von Migräneattacken beeinflussen können. Da diese Studie aktuell noch läuft, können daraus noch keine Erkenntnisse gezogen werden. 

So gibt es bislang keine wissenschaftlichen Belege für die Wirkung des Daith-Piercings. Da die Forschung, welche bisher betrieben wurde, keine placebokontrollierten Studien vorweisen kann. Dabei ist es bei medizinischen Studien besonders wichtig, placebokontrollierte Studien durchzuführen, um den Unterschied zwischen dem tatsächlichen Behandlungseffekt und einem Placeboeffekt zu identifizieren. Ohne die placebokontrollierte Studie kann keinem Medikament oder Behandlungsmethode eine Wirkung zugeschrieben werden. 

Gerade im Fall des Daith-Piercings wird aktuell noch ein Placeboeffekt vermutet. Was erklären würde, weshalb sich viele Betroffene nach dem Piercing wesentlich besser fühlen. Was aber keinen Zusammenhang zum Piercing belegt. Die positiven Erfahrungsberichte werden als anekdotische Beweise bezeichnet. Sie haben keine wissenschaftliche Grundlage.

Wie zum Beispiel eine Umfrage der London Migraine Clinic. Die befragten Migränepatient:innen gaben an, dass sich ihre Symptome nach dem Piercing gelindert haben. Sie gaben an, dass die Migräne seltener auftrat und weniger schwerwiegend war. Während andere keine Veränderung nach dem Piercing festgestellt haben oder die Wirkung mit der Zeit nachließ.

Neben dem skeptisch betrachteten Piercing gibt es zahlreiche weitere Methoden, die von Forscher:innen und Expert:innen empfohlen werden.

Wir haben die gängigsten alternativen Behandlungsmethoden, neben Medikamenten, welche ausreichend erforscht und medizinisch anerkannt sind, zusammengefasst:

Es gibt mehrere Studien, welche die Wirkung von Akupunktur am Ohr und am Körper gegen Migräne belegen. Sie wird sogar mindestens genauso wirksam eingestuft wie die medikamentöse Prophylaxe. Was allerdings nicht gleichzeitig nachweist, dass auch das Migräne-Piercing dieselbe oder eine ähnliche Wirkung haben würde. Nach der Lehre der traditionellen chinesischen Medizin kann Akupunktur episodisch auftretenden Migräneattacken lindern und vorbeugen. 

Ohrakupunktur ist ein spezielles Teilgebiet der Akupunktur. Während der Behandlung werden verschiedene Druckstellen am Ohr genutzt und mit Nadeln, Samen oder den eigenen Fingern gereizt, um Migräne zu behandeln. Die Reize sollen sich auf das zentrale Nervensystem auswirken. Die im Ohr liegenden Nerven, wie der Trigeminusnerv, Vagusnerv und das obere Halsgeflecht sind das Ziel der Behandlung, da sie nachweislich in Zusammenhang mit Migräne gebracht werden können.

Achtsamkeitsmeditation konnte schon durch einige Studien als hilfreiche Methode bei Migräne belegt werden. Durch Meditation können Patient:innen vor allem die Schmerzintensität reduzieren. Häufig wird auch Yoga in Verbindung mit Meditation empfohlen.

Biofeedback soll vor allem besonders effektiv in der Migränevorbeugung sein. Ziel ist es, dass Patient:innen die Prozesse des Körpers bewusst zu steuern lernen. Was gerade vor der Migräneattacke ansonsten unbemerkt im Körper abläuft, wird so kontrolliert und Häufigkeit der Migränewellen deutlich reduziert.

Da dem Piercing bisher noch keine ausreichend erforschte Wirkung zugeschrieben werden konnte, bleibt es vorerst eben nur das, was es schon immer war: nämlich Ohrschmuck. Aus medizinischer Sicht kann das Piercing aber tatsächlich schaden. Denn die Stelle am Crus Helix Knorpel ist keine unkomplizierte Stelle für Piercing-Schmuck. Piercings, die durch das Knorpelgewebe gestochen werden, heilen in der Regel langsamer und schwieriger als solche, die durch weiches und gut durchblutetes Gewebe gestochen werden.

Natürlich gibt es unzählige Fälle von Piercings, die problemlos verheilt sind. Aber es gibt eben auch bemerkenswert viele Fälle, bei denen sich das Piercing entzündet hat, lange nicht verheilen konnte, oder Narben und Abszesse bildet, bis hin zu Fällen, bei denen sich das Ohr verformt hat.

Grundsätzlich muss natürlich immer in sicheren und sterilen Umgebungen gepierct werden und von lizenzierten Piercer:in, was das Risiko, dass Komplikationen auftreten könnten reduziert. Trotzdem können diese nie ganz ausgeschlossen werden. Wer sich also Piercen lassen möchte, sei es auch ästhetischen Gründen, oder in der Hoffnung dadurch Migräne lindern zu können, der sollte dies im Kopf behalten.