Kein Mord an den "Prinzen im Tower" – der finstere Richard III. verbannte seine Neffen nur aufs Land | STERN.de

2022-06-03 18:51:15 By : Ms. Jenny Zhang

Die Rosenkriege des Mittelalters werden auch im heutigen Großbritannien gern voller Wonne aufs Neue ausgetragen. Die Zeit der Kämpfe zwischen den Häusern York und Lancaster endete mit dem Tod Richards III. in der Schlacht von Bosworth. Unsterblich wurde der missgestaltete, aber tapfere Richard durch seinen Ausruf: "Ein Pferd, ein Königreich für ein Pferd." Und auch wenn die Rosenkriege vorbei sind, spaltet genau dieser Richard III. seit 500 Jahren die britische Nation. War er tatsächlich das fleischgewordene Böse, so wie es Shakespeare schilderte? Oder war der Schriftsteller nicht eher ein skrupelloser Propaganda-Schmierling, der den unterlegenen Richard in den Dreck zog, damit der Glanz der siegreichen Tudor-Dynastie umso stärker erstrahlte? Längst ist bekannt, dass ein Großteil der Verbrechen, die Shakespeare ihm andichtete und genussvoll sadistisch ausmalte, überhaupt nicht von Richard "Krummrücken" begangen wurde.

Aber mochten die meisten Gräuel, die Richard zu einem Monster machten, auch erfunden sein: Es bleibt die Frage, was mit den "Prinzen im Tower" geschah. Das unschuldige Blut der jungen Prinzen ist eine Obsession der britischen Seele - sie sind gewissermaßen die "Sissy" der Insel. 1483 verschwanden die Neffen von Richard III.. Hatte der böse Onkel sie umbringen lassen, weil Edward der wahre Thronerbe war? Weiß und rein wie zwei Rosen werden sie gemalt. Weiße Rosen als Zeichen, dass sie die wahren Erben der York-Linie waren. Sie wurden "auf Befehl ihres perfiden Onkels Richard des Usurpators mit Kissen erstickt", heißt die Inschrift auf der Urne, in der ihre vermuteten Überreste aufbewahrt werden. Der Mordvorwurf selbst geht auf Sir Thomas More zurück. Ein Hofmann der Tudors, der seiner Dynastie treu diente.

Der Überlieferung ist also nicht zu trauen, und das ist der richtige Nährboden, auf dem jedes Jahr eine neue Prinzen-Theorie entsteht. Nachdem Professor Tim Thornton vor einem Jahr eine Lanze für die Tudors brach, indem er nahelegte, dass Sir Thomas More seine Kenntnis über den Mord direkt von einem Täter bekommen hatte, tritt nun John Dike für das Haus Plantagenet in die Schranken. Er leitet eine vierjährige "Cold Case"-Untersuchung mit dem Namen "The Missing Princes Project" und sprach mit dem britischen "Telegraf" über seine Entdeckung. Dike und seine Mitstreiter haben ein Puzzle wie im Roman "Da Vinci"-Code zusammengesetzt. Versteckte Hinweise, die Hunderte von Jahren übersehen wurden, und welche die Ermittler des Projekts nun zu deuten wussten.

Demnach habe Richard III. die Prinzen sehr wohl verschwinden lassen. Aber der finstere Oheim habe sich nicht mit dem Blut seiner Verwandten besudeln wollen. Edward von York – der Thron-Prätendent – verschwand 1483, um in dem Dorf Coldridge unter falschem Namen zu leben. So die Theorie. In der dortigen Kirche blickt das Bildnis eines Mannes namens "John Evans" direkt auf das Glasfenster, das Edward V., den verschwundenen Prinzen selbst, darstellt. Die Forscher nehmen an, dass Edward V. und dieser John Evans, die sich so innig anblicken, ein und dieselbe Person waren.

"Die Vorstellung eines verschwundenen Prinzen, der sich in Devon versteckt hält, mag auf den ersten Blick fantastisch erscheinen", sagte John Dike. "Mit all den geheimen Symbolen und Hinweisen klingt es ein wenig wie der "Da Vinci Code". Aber die Entdeckungen in dieser Kirche mitten im Nirgendwo sind außergewöhnlich."

Edward habe alle Ansprüche aufgegeben, zuerst gegenüber Richard dann gegenüber dem siegreichen Henry Tudor. Dafür konnte er unbehelligt sein Leben auf dem Land seines Halbbruders Thomas Grey verbringen, glaubt Dike.

Die beiden jungen Prinzen wurden zuletzt im Sommer 1483 beim Tower gesehen. Die Mutter der Prinzen, Elizabeth Woodville, hatte sich mit der Krönung Richard III. abgefunden und ihn anerkannt. Im Gegenzug hat Richard die Rebellen begnadigt. Kurz darauf schickte er seinen Gefolgsmann Robert Markenfield in das Dorf Coldridge. Und danach erschien der mysteriöse John Evans und erhielt Titel und Besitztümer. "Dieser Mann, John Evans, erhielt diese prestigeträchtigen Titel, obwohl er anscheinend aus heiterem Himmel hierher kam, was gelinde gesagt merkwürdig ist. Es ist möglich, dass Edward hierher geschickt wurde, um im Verborgenen zu leben, als Teil der Abmachung, die, wie wir wissen, zwischen Richard und seiner Mutter getroffen wurde", so John Dike.

Um 1511 ließ sich dieser Evans in der St. Matthews Church eine eigene Kapelle bauen, die heute noch genauso aussieht wie vor 510 Jahren. Dort wollen die Forscher zahlreiche Hinweise auf seine wahre Identität gefunden haben. Das auffälligste ist das Glasfenster mit Edward V.. Wie im "Da-Vinci-Code" bieten die Ermittler eine Vielzahl von Beobachtungen auf, die auf den verschwundenen Prinzen hindeuten. Von Porträts mit charakteristischen Narben bis zu Miniatursymbolen von 41 Hirschen, die das echte Alter Edwards beim Bau der Kapelle verraten. Um das Grab herum und im gesamten Gebäude von den Bodenfliesen bis zum Dach wurden weitere Symbole gefunden, die die Kirche mit dem Haus York in Verbindung bringen.

"Die Tatsache, dass sich all diese symbolischen Details in einer so abgelegenen und unzugänglichen Kirche befinden, die um 1500 nur über einen Karrenweg zu erreichen war und mitten im ländlichen Devon liegt, lässt auf die Anwesenheit einer wichtigen Person schließen", so Dike. "Ein idealer Ort für Thomas Grey, um seinen Halbbruder mit dem wahrscheinlichen Einverständnis von Richard III. oder später Heinrich VII. aus der politischen Arena zu entfernen."

Die Hinweise können überzeugend sein, vielleicht konstruierte die Leidenschaft der Ermittler aber auch Verbindungen, die gar nicht da sind. Gegen die Annahme, hier seien spleenige Hobbydetektive am Werk, spricht, dass das Team unter der Leitung von Philippa Langley arbeitet. Ihre hartnäckige Puzzlearbeit hat 2012 zu der Ausgrabung geführt, bei der man die Leiche von Richard III. unter einem Parkplatz in Leicester gefunden hatte. In der Kirche fand sie aber keinen endgültigen Beweis in Form von DNA, denn das Grab des mysteriösen Evans war leer. "Es ist möglich, dass die Knochen unter dem Kirchenboden liegen, wir brauchen mehr Beweise ", so Dike. "Unsere Ergebnisse scheinen bereits in eine Richtung zu weisen - dass Richard III. unschuldig war."

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