Zentrum für Trachtengewand in Benediktbeuern befasst sich mit Entwicklung der Dirndlmode: „Erlaubt ist, was gefällt“

2022-09-23 20:13:12 By : Ms. Linda Yin

In München findet derzeit die Wiesn statt. Ein Dirndl zu tragen, gehört für viele dazu. Darüber wird kontrovers diskutiert: Was macht ein Dirndl aus? Mit der Entwicklung der Modegeschichte befasst man sich in Benediktbeuern am Zentrum für Trachtengewand.

Benediktbeuern – Lea Sophie Rodenberg hat sich weiße Handschuhe zum Schutz der Textilien übergestreift und öffnet behutsam einen großen, flachen Karton. Sorgfältig zieht sie das Seidenpapier zur Seite. Zum Vorschein kommt ein Dirndl, das einmal einer Frau in Gaißach gehört hat, und zwar in den 1930er- und 40er-Jahren. „Es wurde wahrscheinlich als Arbeitsgewand getragen“, sagt Rodenberg. Das Gewand ist aus Naturleinen und mit rosafarbenen, floralen Motiven handbedruckt. Seitlich sieht man deutlich, dass der Rock mehrfach geflickt wurde. Das Mieder wird von Knöpfen zusammengehalten, und am Ausschnitt sowie an den Ärmeln ziert es eine blaue Borte. Die weiße Schürze ist mit kleinen Blumenmotiven verziert.

Ein Dirndl ist heute per Definition ein einteiliges Kleid mit eng anliegendem Oberteil und einem angesetzten Rock. Dazu wird eine Bluse getragen. „Im 19. Jahrhundert gab es ein Kleid in diesem Stil, das Frauen bei der Arbeit trugen“, sagt Rodenberg. Die 30-Jährige hat Kunst- und Kostümgeschichte in Heidelberg, München und Bern studiert, ist seit knapp einem Jahr die stellvertretende Leiterin des Zentrums für Trachtengewand und dort verantwortlich für die Kleidungs- und Accessoires-Sammlung, die Bibliothek sowie die Foto- und Graphiksammlung. Außerdem managt sie das Depot und kümmert sich um die wissenschaftliche Erschließung von rund 20 000 Exponaten.

Die Arbeitskleidung von Frauen auf dem Land wurde früher unter anderem als „Heug’wand“ oder „Leibeg’wand“ bezeichnet, je nach Region. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zirka 1910, fanden Frauen in der Stadt das chic. „Das ging einher mit der Verklärung des ländlichen Lebens“, sagt Rodenberg. Dieser Trend hatte schon Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt: Eine romantisierende Heimatliebe, in der auch die ersten „Alpen- und Tourismusclubs“ entstanden, erzählt Rodenberg.

Das „Arbeitsg’wand“, in neuer Form, war geboren. In Anlehnung an das bayerische Wort „Deandl“ für „Mädchen“ sprach man nun von einem Dirndl. „In den 1920er und 30er-Jahren gab es einen regelrechten Trachtenboom“, sagt Rodenberg. Ein Blick ins Zeitschriftenarchiv zeigt, dass in Frauenmagazinen groß für Dirndl geworben wurde, etwa für eine Landpartie oder sogar für eine Bergwanderung. Die Frauen trugen dabei übrigens immer einen Hut. „Es folgten dann Jahrzehnte, in denen das Dirndl mal mehr, mal weniger modern war“, sagt Rodenberg. „Es gab unterschiedliche Stoffe und Muster. Mal war der Rock länger, mal war er kürzer.“

In den 1960er-Jahren gab es die ersten „Mini-Dirndl“, also mit sehr kurzem Rock. Zu Beginn der 1970er-Jahre, und zwar einhergehend mit den Olympischen Spielen in München, gab es einen regelrechten Trachtenboom (siehe Kasten). „Auch nach den Olympischen Spielen waren Dirndl noch einige Jahre sehr populär“, sagt Rodenberg. Es entstanden Modelle für den Winter mit festeren Stoffen und längeren Ärmeln oder festliche Modelle für den Abend. Die Dirndl eroberten in dieser Zeit ganz Deutschland. In der Zeitschrift „freundin“ stand damals über einer Modeseite: „Sexy sind sie schon, die feschen Dirndlkleider. Weil sie so allerhand andeuten. Und aus Mitleid mit den Preußen sollte man denen das Dirndltragen auch erlauben. Denn: Holz vor der Hüttn hams auch in Kiel.“ Rodenberg schmunzelt, wenn sie durch die alten Magazine blättert. An anderer Stelle titelte die „freundin“: „Schick von Garmisch bis Flensburg“ und zeigte Frauen im Dirndl im Ruderboot.

„In den 1980er- und 90er-Jahren wurden Dirndl aber dann ziemlich uncool“, sagt Rodenberg. Der Boom setzt erst wieder zu Beginn des neuen Jahrtausends an – und hält bis heute an. „Der Trend ist aber immer modischen Schwankungen unterworfen“, sagt Rodenberg. „Vor rund zehn Jahren sah man viele Rüschen, heutzutage trägt man schlichter und länger.“

Freilich: Ausnahmen bestätigen die Regel. Wie jetzt bei der Wiesn, wo gerne kurze, schrille Modelle getragen werden. „Es gibt viele Menschen, die sagen: Das ist nicht mehr Tracht“, sagt Rodenberg. Sie selbst würde es nicht so stark trennen, für die Fachfrau sind Dirndl Trachtenmode. „Der Übergang ist fließend, alles beeinflusst sich gegenseitig“, sagt sie. Und: „Es gehört genauso dazu. Ob man das nun schön findet oder nicht, ist jedem selbst überlassen. Erlaubt ist, was gefällt. Und es muss nicht jedem gefallen.“

Gibt es einen „Dresscode“ fürs Dirndl? Rodenberg verneint. Ein Dirndl bestehe heute zumeist aus einem Kleid, einer Bluse und einer Schürze. Immer wieder hätten sich Stoffe, Schnitte, Materialien und auch das Schönheitsempfinden verändert: „Mal wird das Mieder geknöpft, mal geschnürt, mal hat es einen Reißverschluss“, sagt sie mit Blick auf die vielen Modelle in der Sammlung. „Und die Bluse muss nicht weiß sein.“ Ob man das G’wand mit Lederjacke, Turnschuhen oder Birkenstocks trage und dazu Brezen-Ohrringe, sei jedem selbst überlassen. „Ein Dirndl“, sagt Rodenberg, „darf jeder tragen. Wieso auch nicht?“

Und was trägt frau unter dem Dirndl? Rodenberg muss lachen. „Allgemein trugen Frauen und Landarbeiterinnen im 19. Jahrhundert keine Unterhosen, sondern nur Unterröcke“, sagt sie. „Lediglich Bäuerinnen bei der Arbeit hatten Unterhosen mit einer Öffnung im Schritt, um diese beim Toilettengang nicht ausziehen zu müssen.“ Der Schlüpfer für die Frauen kam erst in den 1910er-Jahren auf.

Ist ein Dirndl nun Tracht oder nicht? Rodenberg definiert ein Dirndl als „Trachtenmode“, um es abzugrenzen vom institutionalisierten Trachtengewand, wie es bei Leonhardifahrten getragen wird oder wie es die verschiedenen Trachtenvereine pflegen. „Das, was wir als Dirndl heute verstehen, kommt aus der Stadt“, sagt Rodenberg. „Es ist eine modische Kunstform.“

Warum ist das Tragen in ganz Deutschland so populär geworden? Auch bei Schützenfesten in Norddeutschland haben Frauen gerne Dirndl an – obwohl es dort regional auch eigene, andere Trachtenformen gibt. „Das Dirndl ist einfach“, sagt Rodenberg. „Es besteht nicht aus vielen Elementen, und man kann es schnell kombinieren.“ Gerne wird auch über die Position der Schleife diskutiert: Angeblich ist die Frau ledig, wenn die Schleife links gebunden ist. Rechts bedeutet verheiratet, auf dem Rücken binden sie hingegen Kinder oder verwitwete Frauen – kann man zum Beispiel im Internet nachlesen. „Das gab es früher alles nicht“, weiß Rodenberg. „Diese Mode entstand erst im Zuge des jüngsten Trachtenbooms.“ Ist das nun gut oder nicht? Rodenberg lächelt. Für sie ist eines wichtig: „Tracht muss leben, um sich entwickeln zu können.“

Das Zentrum für Trachtengewand des Bezirks Oberbayern befindet sich im Kloster Benediktbeuern. Teile der Sammlung kann man nach Voranmeldung anschauen. Weitere Infos auf www.zentrum-trachtengewand.de

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